Ringelnatz‘ Gedichte – eine Auswahl

Hier finden Sie 60 Gedichte von Joachim Ringelnatz in alphabetischer Reihenfolge.


Joachim Ringelnatz GedichteAbendgebet einer erkälteten Negerin
Abschied der Seeleute
Am Barren
An einem Teiche
An M.
An meinen Lehrer
Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vom dem Wilberforcemonument
Arm Kräutchen
Aus meiner Kinderzeit
Bist du schon auf der Sonne gewesen?
Bumerang
Das Schlüsselloch
Der Bücherfreund
Der Glückwunsch
Der letzte Weg
Der Komiker
Der sächsische Dialekt
Die Ameisen
Die Frau mit der Reiherfeder
Die Kartenlegerin
Die neuen Fernen
Die Schnupftabaksdose
Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu
Ein Nagel saß in einem Stück Holz
Ein männlicher Briefmark erlebte
Ein Pflasterstein, der war einmal
Ein Taschenkrebs und ein Känguruh
Es war ein Brikett, ein großes Genie
Es war ein Stahlknopf irgendwo
Gedicht in Bi-Sprache
Genau besehn
Großer Vogel
Hafenkneipe
Heimatlose
Ich habe dich so lieb
Im Park
Kindergebetchen
Lampe und Spiegel
Liebesbrief
Logik
Morgenwonne
Nach dem Gewitter
Nachtschwärmen
Nie bist du ohne Nebendir
Oh, rief ein Glas Burgunder
Ohrwurm und Taube
Ruf zum Sport
Schenken
Seepferdchen
Segelschiffe
Sich interessant machen
Silvester
Stammbuchvers
Überall
Übergewicht
Vom Seemann Kuttel Daddeldu
Vorbei ist das Fasten
Was die Irre sprach
Wie mag er aussehen?
Zu einem Geschen



Abendgebet einer erkälteten Negerin

Ich suche Sternengefunkel.
All mein Karbunkel
Brennt Sonne dunkel.
Sonne drohet mit Stich.

Warum brennt mich die Sonne im Zorn?
Warum brennt sie gerade mich?
Warum nicht Korn?

Ich folge weißen Mannes Spur.
Der Mann war weiß und roch so gut.

Mir ist in meiner Muschelschnur
So negligé zu Mut.

Kam in mein Wigwam
Weit übers Meer,
Seit er zurückschwamm,

Das Wigwam
Blieb leer.

Drüben am Walde
Kängt ein Guruh – –

Warte nur balde
Kängurst auch du.  Inhaltsverzeichnis

Abschied der Seeleute

Chor der Seeleute:

Wir Fahrensleute
Lieben die See.
Die Seemannsbräute
Gelten für heute,
Sind nur für to-day.

Die Mädchen, die weinen,
Sind schwach auf den Beinen.
Was schert uns ihr Weh !
Das Weh, ach das legt sich.
Unsre Heimat bewegt sich
Und trägt uns in See,
Far-away.

Chor der Mädchen:

Wir, die Bräute
Der Fahrensleute,
Lieben und küssen,
Doch wissen, sie müssen
Zur Seefahrt zurück.

Und wenn sie ertrinken,
Dann – wissen wir – winken
Uns andre zum Glück.   Inhaltsverzeichnis

An einem Teiche

An einem Teiche
Schlich eine Schleiche,
Eine Blindschleiche sogar.
Da trieb ein Etwas ans Ufer im Wind.
Die Schleiche sah nicht was es war,
Denn sie war blind.

Das dunkle Etwas aber war die Kindsleiche
Einer Blindschleiche.   Inhaltsverzeichnis

An meinen Lehrer

Ich war nicht einer deiner guten Jungen.
An meinem Jugendtrotz ist mancher Rat
Und manches wohlgedachte Wort zersprungen.
Nun sieht der Mann, was einst der Knabe tat.

Doch hast du, alter Meister, nicht vergebens
An meinem Bau geformt und dich gemüht.
Du hast die besten Werte meines Lebens
Mit heißen Worten mir ins Herz geglüht.

Verzeih, wenn ich das Alte nicht bereue.
Ich will mich heut wie einst vor dir nicht bücken.
Doch möcht ich dir für deine Lehrertreue
nur einmal dankbar, stumm die Hände drücken.   Inhaltsverzeichnis

Arm Kräutchen

Ein Sauerampfer auf dem Damm
stand zwischen Bahngeleisen,
machte vor jedem D-Zug stramm,
sah viele Menschen reisen.

Und stand verstaubt und schluckte Qualm,
schwindsüchtig und verloren,
ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
mit Augen, Herz und Ohren.

Sah Züge schwinden, Züge nahen.
Der arme Sauerampfer
sah Eisenbahn um Eisenbahn,
sah niemals einen Dampfer.   Inhaltsverzeichnis

Aus meiner Kinderzeit

Vaterglückchen, Mutterschößchen,
Kinderstübchen, trautes Heim,
Knusperhexlein, Tante Rös’chen
Kuchen schmeckt wie Fliegenleim.

Wenn ich in die Stube speie
Lacht mein Bruder wie ein Schwein
Wenn er lacht, haut meine Schwester,
Wenn sie haut, weint Mütterlein.

Wenn die weint, muß Vater fluchen.
Wenn er flucht, trinkt Tante Wein
Trinkt sie Wein, schenkt sie mir Kuchen:
Wenn ich Kuchen kriege, muß ich spein.   Inhaltsverzeichnis

Der Bücherfreund

Ob ich Biblio- was bin?
Phile? „Freund von Büchern“ meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!

Mir sind Bücher, was den anderen Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher — wie beliebt? Wieviel?

Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.

Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben —
Hei ! das gibt den Muskeln die Latur.

Oh, ich mußte meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.

Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.

Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.

Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.

Wie ? – ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, sie unerhörter Ese—
Nein, pardon! – Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.

Bücher – Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hochverehren.

Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.   Inhaltsverzeichnis

Der Komiker

Ein Komiker von erstem Rang
Ging eine Straße links entlang.
Die Leute sagten rings umher
Hindeutend: Das ist der und der!
Der Komiker fuhr aus der Haut
Nach Haus und würgte seine Braut.
Nicht etwa wie von ungefähr,
Nein ernst, als ob das komisch wär.  Inhaltsverzeichnis

Segelschiffe

Sie haben das mächtige Meer unterm Bauch
Und über sich Wolken und Sterne.
Sie lassen sich fahren vom himmlischen Hauch
mit Herrenblick in die Ferne.

Sie schaukeln kokett in des Schicksals Hand
Wie trunkene Schmetterlinge.
Aber sie tragen von Land zu Land
Fürsorglich wertvolle Dinge.

Wie das im Wind liegt und sich wiegt,
Tauwebüberspannt durch die Wogen,
Da ist eine Kunst, die friedlich siegt,
Und ihr Fleiß ist nicht verlogen.

Es rauscht wie Freiheit. Es riecht wie Welt. –
Natur gewordene Planken
Sind Segelschiffe. – Ihr Anblick erhellt
Und weitet unsre Gedanken.   Inhaltsverzeichnis

Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.   Inhaltsverzeichnis

Genau besehn

Wenn man das zierlichste Näschen
Von seiner liebsten Braut
Durch ein Vergrößerungsgläschen
Näher beschaut,
Dann zeigen sich haarige Berge,
Daß einem graut.   Inhaltsverzeichnis

Bumerang

War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.  Inhaltsverzeichnis

Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vom dem Wilberforcemonument

Guten Abend, schöne Unbekannte!
Es ist nachts halb zehn.
Würden Sie liebenswürdigerweise mit mir schlafen gehn?
Wer ich bin? -Sie meinen, wie ich heiße?
Liebes Kind, ich werde Sie belügen,
Denn ich schenke dir drei Pfund.
Denn ich küsse niemals auf den Mund.
Von uns beiden bin ich der Gescheitre.
Doch du darfst mich um drei weitre
Pfund betrügen.
Glaube mir, liebes Kind:
Wenn man einmal in Sansibar
Und in Tirol und im Gefängnis und in Kalkutta war,
Dann merkt man erst, daß man nicht weiß,
wie sonderbar Die Menschen sind.
Deine Ehre, zum Beispiel, ist nicht dasselbe
Wie bei Peter dem Großen L’honneur.-
Übrigens war ich -(Schenk mir das gelbe
Band!)- in Altona an der Elbe Schaufensterdekorateur.-
Hast du das Tuten gehört?
Das ist Wilson Line.
Wie? Ich sei angetrunken?
O nein, nein! Nein! Ich bin völlig besoffen und hundsgefährlich geistesgestört.
Aber sechs Pfund sind immer ein Risiko wert.
Wie du mißtrauisch neben mir gehst!
Wart nur, ich erzähle dir schnurrige Sachen.
Ich weiß: Du wirst lachen.
Ich weiß: Daß sie dich auch traurig machen.
Obwohl du sie gar nicht verstehst.
Und auch ich – Du wirst mir vertrauen – später in Hose und Hemd.
Mädchen wie du haben mir immer vertraut.
Ich bin etwas schief ins Leben gebaut.
Wo mir alles rätselvoll ist und fremd,
Da wohnt meine Mutter. -Quatsch!
Ich bitte dich: Sei recht laut!
Ich bin eine alte Kommode.
Oft mit Tinte oder Rotwein begossen;
Manchmal mit Fußtritten geschlossen.
Der wird kichern, der nach meinem Tode
Mein Geheimfach entdeckt.-
Ach Kind, wenn du ahntest, wie Kunitzburger Eierkuchen schmeckt!

Ich bin auch nicht richtig froh.
Ich habe auch kein richtiges Herz.
Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk.
Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts,
irgendwo Im Muschelkalk.   Inhaltsverzeichnis

Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.   Inhaltsverzeichnis

Die Kartenlegerin

Das Schiff war schon im Hafen leck.
Man besserte an dem Schaden.
Das Schiff hatte Fässer geladen
Und Passagiere im Zwischendeck.

Mittags stieg eine Negerin
In das Matrosenlogis.
Sie wäre Kartenlegerin,
Bedeutet sie.

„Two shillings“ – oder ein Kleidungsstück,
Sie zeigt auf wollene Sachen.
So eine weiss manchmal, wie man sein Glück
Kann machen.

Sie reden voreinander dumm,
Gaben der Alten zu saufen,
Drückten ihr lachend am Busen herum
Und liessen sie dann laufen.

Nachts hockte die alte, schwarze Kuh
An Deck zwischen Fässern und Tauen.
Vor ihr lag Kuttel Daddeldu
Dienstmüde und dachte an Frauen.

Da legte die Kartenlegerin
Die Karten, die ihn betrafen,
An Deck und murmelte vor sich hin.
Kuttel war eingeschlafen.

Sie murmelte Worte in den Wind.
Das Schiff fing an zu rollen.
Das Schiff und die Menschen darauf sind
Verschollen.   Inhaltsverzeichnis

Gedicht in Bi-Sprache

Ibich habibebi dibich,
Lobittebi, sobi liebib.
Habist aubich dubi mibich
Liebib? Neibin, vebirgibib.
Nabin obidebir febirn,
Gobitt seibi dibir gubit.
Meibin Hebirz habit gebirn
Abin dibir gebirubiht.   Inhaltsverzeichnis

Liebesbrief

So kann es nun nicht weitergehn!
Das, was besteht, muß bleiben.
Wenn wir uns wieder wiedersehn,
Muß irgendetwas geschehn.
Was wir dann auf die Spitze treiben.
Was – was auf einer Spitze tut?
Gewiß nicht Plattitüden.
Denn was auf einer Spitze ruht,
Wird nicht so leicht ermüden.
Auf einer Bank im Grunewald
Zu zweit im Regen sitzen,
Ist blöd. Mut, Mädchen! Schreibe bald!
Dein Fritz! (Remember Spitzen).  Inhaltsverzeichnis

Hafenkneipe

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘
Sitzt der Bruder mit der Schwester
Hand in Hand.

Zwar der Bruder ist kein Bruder,
Doch die Schwester ist ein Luder
Und das braune Mädchen stammt aus Feuerland.

In der Kneipe ‚Zum Südwester‘
Ballt sich manchmal eine Hand,
Knallt ein Möbel an die Wand.

Doch in jener selben Schenke
Schäumt um einfache Getränke
Schwer erkämpftes Seemannsglück.

Die Matrosen kommen, gehen.
Alles lebt vom Wiedersehen.
Ein gegangener Gast sehnt sich zurück.

Durch die Fensterscheibe aber träumt ein Schatten
Derer, die dort einmal
Oder keinmal
Abenteuerliche Freude hatten.  Inhaltsverzeichnis

Kniebeuge

Kniee – beugt!
Wir Menschen sind Narren.
Sterbliche Eltern haben uns einst gezeugt.
Sterbliche Wesen werden uns später verscharren.
Schäbige Götter, wer seid ihr? und Wo?
Warum lasset ihr uns nicht länger so
Menschlich verharren?
Was ist denn Leben?
Ein ewiges Zusichnehmen und Vonsichgeben. –
Schmach euch, ihr Götter, daß ihr so schlecht uns versorgt,
Daß ihr uns Geist und Würde und schöne Gestalt nur borgt.
Eure Schöpfung ist Plunder,
Das Werk sodomitischer Nachtung.
Ich blicke mit tiefster Verachtung
Auf euch hinunter.
Und redet mir nicht länger von Gnade und Milde!
Hier sitze ich; forme Menschen nach meinem Bilde.
Wehe euch, Göttern, wenn ihr uns drüben erweckt!
Beine streckt!   Inhaltsverzeichnis

Morgenwonne

Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich „Euer Gnaden“.

Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.   Inhaltsverzeichnis

An M.

Der du meine Wege mit mir gehst,
Jede Laune meiner Wimper spürst,
Meine Schlechtigkeiten duldest und verstehst –
Weißt du wohl, wie heiß du oft mich rührst?

Wenn ich tot bin darfst du gar nicht trauern.
Meine Liebe wird mich überdauern

Und in fremden Kleidern dir begegnen
Und dich segnen.

Lebe, lache gut!
Mache deine Sache gut!   Inhaltsverzeichnis

Kindergebetchen

Erstes

Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß, ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Pa und Ma gesund.

Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.

Zweites

Lieber Gott, recht gute Nacht,
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.

Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon so erwachsen bin.

Drittes

Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, daß ich gähne.
Beschütze mich in der Not,

Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.  Inhaltsverzeichnis

Seepferdchen

Als ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig, wunderbar
Unter Wasser zu schweben.
In den träumenden Fluten
Wogte, wie Güte, das Haar
Der zierlichsten aller Seestuten
Die meine Geliebte war.
Wir senkten uns still oder stiegen,
Tanzten harmonisch umeinand,
Ohne Arm, ohne Bein, ohne Hand,
Wie Wolken sich in Wolken wiegen.
Sie spielte manchmal graziöses Entfliehn
Auf dass ich ihr folge, sie hasche,
Und legte mir einmal im Ansichziehn
Eierchen in die Tasche.
Sie blickte traurig und stellte sich froh,
Schnappte nach einem Wasserfloh,
Und ringelte sich
An einem Stengelchen fest und sprach so:
Ich liebe dich!
Du wieherst nicht, du äpfelst nicht,
Du trägst ein farbloses Panzerkleid
Und hast ein bekümmertes altes Gesicht,
Als wüsstest du um kommendes Leid.
Seestütchen! Schnörkelchen! Ringelnass!
Wann war wohl das?
Und wer bedauert wohl später meine restlichen Knochen?
Es ist beinahe so, dass ich weine –
Lollo hat das vertrocknete, kleine
Schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen  Inhaltsverzeichnis

Logik

Die Nacht war kalt und sternenklar,
da trieb im Meer bei Norderney
ein Suahelischnurrbarthaar –
die nächste Schiffsuhr wies auf drei.

Mir scheint da mancherlei nicht klar:
man fragt doch, wenn man Logik hat,
Was sucht ein Suahelihaar
denn nachts um drei am Kattegatt?  Inhaltsverzeichnis

Großer Vogel

Die Nachtigall ward eingefangen,
Sang nimmer zwischen Käfigstangen.
Man drohte, kitzelte und lockte.
Gall sang nicht. Bis man die Verstockte
In tiefsten Keller ohne Licht
Einsperrte. – Unbelauscht, allein
Dort, ohne Angst vor Widerhall,
Sang sie
Nicht – -,
Starb ganz klein
Als Nachtigall.  Inhaltsverzeichnis

Nie bist du ohne Nebendir

Eine Wiese singt.
Dein Ohr klingt.
Eine Telefonstange rauscht.

Ob du im Bettchen liegst
Oder über Frankfurt fliegst,
Du bist überall gesehn und belauscht.

Gonokokken kieken.
Kleine Morcheln horcheln.
Poren sind nur Ohren.
Alle Bläschen blicken.

Was du verschweigst,
Was du andern nicht zeigst,
Was dein Mund spricht
Und deine Hand tut,
Es kommt alles ans Licht.
Sei ohnedies gut.  Inhaltsverzeichnis

Im Park

Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei.

Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
gegen den Wind an den Baum,
und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.  Inhaltsverzeichnis

Ruf zum Sport

Auf ihr steifen und verdorrten
Leute aus Büros,
Reißt euch mal zum Wintersporten
Von den Öfen los.

Bleiches Volk an Wirtshaustischen,
Stellt die Gläser fort.
Widme dich dem freien, frischen,
Frohen Wintersport.

Denn er führt ins lodenfreie
Gletscherfexlertum
Und bedeckt uns nach der Reihe
All mit Schnee und Ruhm.

Doch nicht nur der Sport im Winter,
Jeder Sport ist plus,
Und mit etwas Geist dahinter
Wird er zum Genuß.

Sport macht Schwache selbstbewußter,
Dicke dünn, und macht
Dünne hinterher robuster,
Gleichsam über Nacht.

Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine,
Kürzt die öde Zeit,
Und er schützt uns durch Vereine
Vor der Einsamkeit,

Nimmt den Lungen die verbrauchte
Luft, gibt Appetit;
Was uns wieder ins verrauchte
Treue Wirtshaus zieht.

Wo man dann die sporttrainierten
Muskeln trotzig hebt
Und fortan in illustrierten
Blättern weiterlebt.   Inhaltsverzeichnis

Silvester

Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genauso wie zu Pfingsten,

Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.

Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.

Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!

Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.   Inhaltsverzeichnis

Nachtschwärmen

Die alte Pappel schauert sich neigend,
Als habe das Leben sie müde gemacht.
Ich und mein Lieb – hier ruhen wir schweigend –
Und vor uns wallt die drückende Nacht.
Bis sich zwei schöne Gedanken begegnen, –
Dann löst sich der bleierne Wolkenhang.
Goldene, sprühende Funken regnen
Und füllen die Welt mit lustigem Klang.
Ein trüber Nebel ist uns zerronnen.
Ich lege meine in deine Hand.
Mir ist, als hätt ich dich neu gewonnen. –
Und vor uns schimmert ein goldenes Land.   Inhaltsverzeichnis

Übergewicht

Es stand nach einem Schiffsuntergange
Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund.
Ein Walfisch betrachtete sie bange,
Beroch sie dann lange,
Hielt sie für ungesund,
Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe,
Senkte sich auf die Wiegescheibe
Und sah – nach unten schielend – verwundert:
Die Waage zeigte über Hundert.   Inhaltsverzeichnis

Nach dem Gewitter

Der Blitz hat mich getroffen.
Mein stählerner, linker Manschettenknopf
ist weggeschmolzen, und in meinem Kopf
summt es, als wäre ich besoffen.

Der Doktor Berninger äußerte sich
darüber sehr ungezogen:
Das mit dem Summen wär‘ typisch für mich,
das mit Blitz wär‘ erlogen.  Inhaltsverzeichnis

Ein Nagel saß in einem Stück Holz

Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.

Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.
Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.

Kurz, eines Tages entfernten sie sich
Und ließen den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
So bittere Leiden gekostet.

Bald war er beinah verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube, wieder zurück.
Sie glänzte übers ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!  Inhaltsverzeichnis

Die Schnupftabaksdose

Es war eine Schnupftabaksdose
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.

Da kam ein Holzwurm gekrochen.
Der hatte Nußbaum gerochen
Die Dose erzählte ihm lang und breit.
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann
„Was geht mich Friedrich der Große an!“  Inhaltsverzeichnis

Ein männlicher Briefmark erlebte

Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!   Inhaltsverzeichnis

Bist du schon auf der Sonne gewesen?

Bist du schon auf der Sonne gewesen?
Nein? – Dann brich dir aus einem Besen
Ein kleines Stück Spazierstock heraus
Und schleiche dich heimlich aus dem Haus
Und wandere langsam in aller Ruh
Immer direkt auf die Sonne zu.

So lange, bis es ganz dunkel geworden.
Dann öffne leise dein Taschenmesser,
Damit dich keine Mörder ermorden.
Und wenn du die Sonne nicht mehr erreichst,
Dann ist es fürs erstemal schon besser,
Daß du dich wieder nach Hause schleichst.  Inhaltsverzeichnis

Die neuen Fernen

In der Stratosphäre,
Links vom Eingang, führt ein Gang
(Wenn er nicht verschüttet wäre)
Sieben Kilometer lang
Bis ins Ungefähre.

Dort erkennt man weit und breit
Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit.
Wenn man da die Augen schließt
Und sich langsam selbst erschießt,

Dann erinnert man sich gern
An den deutschen Abendstern.   Inhaltsverzeichnis

Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu

Die Springburn hatte festgemacht
Am Peterskai.
Kuttel Daddeldu jumpte an Land,
Durch den Freihafen und die stille heilige Nacht
Und am Zollwächter vorbei.
Er schwenkte einen Bananensack in der Hand.
Damit wollte er dem Zollmann den Schädel spalten.
Wenn er es wagte, ihn anzuhalten.
Da flohen die zwei voreinander mit drohenden Reden.
Aber auf einmal trafen sich wieder beide im König von Schweden.
Daddeldus Braut liebte die Männer vom Meere,
denn sie stammte aus Bayern.
Und jetzt war sie bei einer Abortfrau in der Lehre,
Und bei ihr wollte Kuttel Daddeldu Weihnachten feiern.
Im König von Schweden war Kuttel bekannt als Krakeeler,
Deswegen begrüßte der Wirt ihn freundlich: „Hallo old sailer!“
Daddeldu liebte solch freie, herzhafte Reden,
Deswegen beschenkte er gleich den König von Schweden.
Er schenkte ihm Feigen und sechs Stück Kolibri
Und sagte: „Da nimm, du Affe!“
Daddeldu sagte nie „Sie“.
Er hatte auch Wanzen und eine Masse
Chinesischer Tassen für seine Braut mitgebracht.
Aber nun sangen die Gäste „Stille Nacht, Heilige Nacht“.
Und da schenkte er jeden Gast eine Tasse
Und behielt für die Braut nur noch drei.
Aber als er sich später mal drauf setzte,
Gingen auch diese versehentlich noch entzwei,
Ohne daß sich Daddeldu selber verletzte.
Und ein Mädchen nannte ihn Trunkenbold
Und schrie: er habe sie an die Beine geneckt.
Aber Daddeldu zahlte alles in englischen Pfund in Gold.
Und das Mädchen steckte ihm Christkonfekt
Still in die Taschen und lächelte hold.
Und goß noch Genever zu dem Gilka mit Rum in den Sekt.
Daddeldu dachte an die wartende Braut.
Aber es hatte nicht sein gesollt,
Denn nun sangen sie wieder so schön und so laut.
Und Daddeldu hatte die Wanzen noch nicht verzollt,

Deshalb zahlte er alles in englischen Pfund in Gold.

Und das war alles wie Traum.

Plötzlich brannte der Weihnachtsbaum.
Plötzlich brannte das Sofa und die Tapete,
Kam eine Marmorplatte geschwirrt,
Rannte der große Spiegel gegen den kleinen Wirt.
Und die See ging hoch und der Wind wehte.
Daddeldu wankte mit einer blutigen Nase
(Nicht mit seiner eigenen) hinaus auf die Straße.
Und eine höhnische Stimme hinter ihm schrie:
„Sie Daddel Sie!“
Und links und rechts schwirrten die Kolibri.
Die Weihnachtskerzen im Pavillon an der Mattentwiete erloschen.
Die alte Abortfrau begab sich zur Ruh.
Draußen stand Daddeldu
Und suchte für alle Fälle nach einem Groschen.
Da trat aus der Tür seine Braut
Und weinte laut:
Warum er so spät aus Honolulu käme?
Ob er sich gar nicht mehr schäme?
Und klappte die Tür wieder zu
An der Tür stand: „Für Damen“.
Es dämmerte langsam. Die ersten Kunden kamen,
Und stolperten über den schlafenden Daddeldu.  Inhaltsverzeichnis

Vom Seemann Kuttel Daddeldu

Eine Bark lief ein in Le Haver,
Von Sidnee kommend, nachts elf Uhr drei.
Es roch nach Himbeeressig am Kai,
Und nach Hundekadaver.
Kuttel Daddeldu ging an Land.
Die Rü Albani war ihm bekannt.
Er kannte nahezu alle Hafenplätze.
Weil vor dem ersten Hause ein Mädchen stand,
Holte er sich im ersten Haus von dem Mädchen die Krätze.
Weil er das aber natürlich nicht gleich empfand,

Ging er weiter – kreuzte topplastig auf wilder Fahrt.
Achtzehn Monate Heuer hatte er sich zusammengespart.
In Nr. 6 traktierte er Eiwie und Kätchen,
In 8 besoff ihn ein neues, straff lederbusiges Weib.
Nebenan bei Pierre sind allein sieben gediegene Mädchen
Ohne die mit dem Zelluloid-Unterleib.
Daddeldu, the old Seelerbeu Kuttel,
Verschenkte den Albatrosknochen,
Das Haifischrückgrat, die Schals,
Den Elefanten und die Saragossabuttel.
Das hatte er eigentlich alles der Mary versprochen,
Der anderen Mary; das war seine feste Braut.
Daddeldu – Hallo! Daddeldu,
Daddeldu wurde fröhlich und laut.
Er wollte mit höchster Verzerrung seines Gesichts
Partu einen Niggersong singen
Und „Blu beus blu“.
Aber es entrang sich ihm nichts.
Daddeldu war nicht auf die Wache zu bringen.
Daddeldu Duddel Kuttelmuttel, Katteldu
erwachte erstaunt und singend morgens um vier
Zwischen Nasenbluten und Pomm de Schwall auf der Pier.
Daddeldu bedrohte zwecks Vorschuß den Steuermann.
Schwitzte den Spiritus aus. Und wusch sich dann.
Daddeldu ging nachmittags wieder an Land,
Wo er ein Renntiergeweih, eine Schlangenhaut,
Zwei Fächerpalmen und Eskimoschuhe erstand.
Das brachte er aus Australien seiner Braut.  Inhaltsverzeichnis

Abendgebet einer erkälteten Negerin

Ich suche Sternengefunkel.
Sonne brennt mich dunkel.
Sonne drohet mit Stich.
Warum brennt mich die Sonne im Zorn?
Warum brennt sie gerade mich?
Warum nicht Korn?

Ich folge weißen Mannes Spur.
Der Mann war weiß und roch so gut.
Mir ist in meiner Muschelschnur
So neglige zu Mut.

Kam in mein Wigwam
Weit über das Meer,
Seit er zurückschwamm,
Das Wigwam
Blieb leer.

Drüben am Walde
Kängt ein Guruh – –
Warte nur balde
Kängurst auch du.  Inhaltsverzeichnis

Heimatlose

Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
„Wo ist das Meer?“   Inhaltsverzeichnis

Lampe und Spiegel

„Sie faule, verbummelte Schlampe!“
sagte der Spiegel zur Lampe.
„Sie altes, schmieriges Scherbenstück!“
gab die Lampe dem Spiegel zurück.

Der Spiegel in seiner Erbitterung
bekam einen ganz gewaltigen Sprung.
Der zornigen Lampe verging die Puste:
Sie fauchte, rauchte, schwelte und ruste.

Das Stubenmädchen ließ beide in Ruhe
und doch – man schob ihr die Schuld in die Schuhe.   Inhaltsverzeichnis

Ohrwurm und Taube

Der Ohrwurm mochte die Taube nicht leiden.
Sie haßte den Ohrwurm ebenso.
Da trafen sich eines Tages die beiden
in einer Straßenbahn irgendwo.

Sie schüttelten sich erfreut die Hände
und lächelten liebenswürdig dabei
und sagten einander ganze Bände
von übertriebener Schmeichelei.

Doch beide wünschten sie sich im stillen,
der andre möge zum Teufel gehn,
und da es geschah nach ihrem Willen,
so gab es beim Teufel ein Wiedersehn.  Inhaltsverzeichnis

Wie mag er aussehen?

Wer hat zum Steuerbogenformular
den Text erfunden?
Ob der in jenen Stunden,
da er dies Wunderwirr gebar,
wohl ganz — oder total — war?

Du liest den Text. Du sinnst. Du spinnst.
Du grinst – „Welch Rinds“ – Und du beginnst
wieder und wieder. Eisigkalt
kommt die Vision dir „Heilanstalt“.

Für ihn? Für dich? – Dein Witz erblaßt.
Der Mann, der jenen Text verfaßt,
was mag er dünkeln oder wähnen?
Ahnt er denn nichts von Zeitverlust und Tränen?

Wir kommen nicht auf seine Spur.
Und er muß wohl so sein und bleiben.
Auf seinen Grabstein sollte man nur
den Text vom Steuerbogen schreiben.  Inhaltsverzeichnis

Am Barren

Deutsche Frau, dich ruft der Barrn,
Denn dies trauliche Geländer
Fördert nicht nur Hirn und Harn,
Sondern auch die Muskelbänder,
Unterleib und Oberlippe.
Sollst, das Hüftgelenk zu stählen,
Dich im Knickstütz ihm vermählen.
Deutsches Weib, komm: Kippe, kippe!

Deutsche Frau, nun laß dich wieder
Ellengriffs im Schwimmhang nieder.
So, nun Hackenschluß! Und schwinge!
Schwinge! Hurtig um den Leib!
Oh, es gibt noch wundervolle
Dinge. Rolle rückwärts! Rolle!
Rolle rückwärts, deutsches Weib!

Deutsche Jungfrau, weg das Armband!
In die Hose! Aus dem Rocke!
Aus dem Streckstütz in den Armstand,
Nur die Flanke. Sehr gut! Danke!
Deutsches Mädchen- Hocke, Hocke!

Mußt dich keck emanzipieren
Und mit kindlichem „Ätsch-Ätsche“
Über Männer triumphieren,
Mußt wie Bombe und Kartätsche
Deine Kräfte demonstrieren.
Deutsches Mädchen- Grätsche! Grätsche!   Inhaltsverzeichnis

Was die Irre sprach

Wir armen Schizophrenen!
Wir sind nur ein Begriff.
Wir lassen uns endlos dehnen.
Aber es war ein englisches Schiff.

Ich weiß, Sie möchten was fragen;
Seien Sie ruhig ganz streng zu mir.
Sie sind nur glücklich, und ein Tier –
Muß man treten und schlagen.

Die Blicke sind selbstverständlich
Bei Kapitänen Befehle.
Ich habe auch Eure Seele,
Aber – die Schwester lügt. Sie lügt schändlich.

Vielleicht ist Hingeben Schande.
Kein Tier weiß, was es redlich tut.
So wahr er tausend Meter vom Lande –
Amen – im Wasser ruht.

Nein danke! Ich bin nicht müde.
Oder spreche ich Ihnen zu viel? –
Die Quintessenz der Güte
Liegt schließlich nicht im Peitschenstiel.
Er hebt oder senkt die Blüte. –
Nun aber genug im grausamen Spiel.
Sie haben doch recht! Ich bin müde.

Living or dead – Mir riecht sich das gleich.
Aber wären sie englisch ersoffen,
Sie kämen vielleicht auch ins Himmelreich. –
Amen. – Wir wollen es hoffen. –
Jetzt ist er zum ersten Male weich.

Sehen Sie nur: Wie der Oberarzt schaut?
Er soll viel strenger zu mir sein.
Ich bin doch allein. Weil ich ein Schwein
Bin. Ich bin eine Seemalmsbraut
Tausend Meter vom Lande. –
Die Schwester hält das für Schande.

Ihr schmutziges Volk! Euer Captain ist fort. –
Nie wieder die Stiefel lecken muß.
Ja, führt mich hinaus! Wir treffen uns dort. –
Wo Anfang ist, da ist auch ein Schluß.
Weil Ihr uns um unser freieres Sehnen
Beneidet. – Hier fragt sich: Wer führt das Wort?
Ihr armen Schizophrenen.   Inhaltsverzeichnis

„Oh“, rief ein Glas Burgunder

„Oh“, rief ein Glas Burgunder,
„Oh Mond, du göttliches Wunder!
Du gießt aus silberner Schale
Das liebestaumelnde, fahle,
Trunkene Licht wie sengende Glut
Hin über das nachtigallene Land –“

Da rief der Mond, indem er verschwand:
„Ich weiß, ich weiß! Schon gut! Schon gut!“  Inhaltsverzeichnis

Sich interessant machen
(für einen großen Backfisch)

Du kannst doch schweigen? Du bist doch kein Kind
Mehr! – Die Lederbände im Bücherspind
Haben, wenn du die umgeschlagenen Deckel hältst,
Hinten eine kleine Höhlung im Rücken.
Dort hinein mußt du weichen Käse drücken.
Außerdem kannst du Käsepfropfen
Tief zwischen die Sofapolster stopfen:

Lasse ruhig eine Woche verstreichen.
Dann mußt du immer traurig herumschleichen.
Bis die Eltern nach der Ursache fragen.
Dann tu erst, als wolltest du ausweichen,
Und zuletzt mußt du so stammeln und sagen:
„Ich weiß nicht, – ich rieche überall Leichen – .“

Deine Eltern werden furchtbar erschrecken
Und überall rumschnüffeln nach Leichengestank,
Und dich mit Schokolade ins Bett stecken.
Und zum Arzt sage dann: „Ich bin seelenkrank.“

Nur laß dich ja nicht zum Lachen verleiten.
Deine Eltern – wie die Eltern so sind –
Werden bald überall verbreiten:
Du wärst so ein merkwürdiges, interessantes Kind.  Inhaltsverzeichnis

Schenken

Schenke groß oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
sodaß die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Daß dein Geschenk
Du selber bist.  Inhaltsverzeichnis

Überall

Überall ist Wunderland
Überall ist Leben
Bei meiner Tante im Strumpfenband
wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.

Wenn Du einen Schneck behauchst
Schrumpft er ins Gehäuse,
Wenn Du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.  Inhaltsverzeichnis

Stammbuchvers

So an ein Stammbuch hingezerrt
hat man Verdruß.
Man fühlt sich aufs Klosett gesperrt
Obwohl man garnicht muß.

Denn mancher Gast will weitergehn
Und will nichts stehen lassen
Und seine Klexe ungesehen
Nur werfen, wo sie passen.   Inhaltsverzeichnis

Vorbei ist das Fasten

Kameraden, vorbei ist das Fasten,
Ich sehe den Leuchtturm durchs Glas.
Schon flattern um unsere Masten
Die Möwen. Im Wasser schwimmt Gras.

Schon steigen die Türme vom Hafen
Wie Kräuterkäse grün aus dem Grau.
Old sailorboys, heute nacht schlafen
Wir alle an Land bei der Frau.

Vielleicht tanzen wir heute
Und saufen soviel uns behagt.
Wir haben als Fahrensleute
Solang dem Vergnügen entsagt.  Inhaltsverzeichnis

Zu einem Geschenk

Ich wollte Dir was dedizieren
Nein, schenken; was nicht zuviel kostet,
Aber was aus Blech ist, rostet
Und die Messinggegenstände oxydieren.
Und was kosten soll es eben doch.
Denn aus Mühe mach ich extra noch
Was auch hinzu, auch kleine Witze.
Wär‘ bei dem, was ich besitze,
Etwas Altertümliches dabei
Doch was nützt Dir meine Lanzenspitze!
An dem Bierkrug sind die beiden
Löwenköpfe schon entzwei
Und den Buddha mag ich selber leiden.
Und du sammelst keine Schmetterlinge
Die mein Freund aus China mitgebracht.
Nein das Sofa und so große Dinge
Kommen überhaupt nicht in Betracht.
Außerdem gehören sie nicht mir.
Ach, ich hab‘ die ganze letzte Nacht
Rumgegrübelt, was ich Dir
Geben könnte. Schlief deshalb nur eine
Allerhöchstens zwei von sieben Stunden,
Und zum Schluß hab‘ ich doch nur dies kleine
Lumpige beschißne Ding gefunden.
Aber gern hab ich für dich gewacht.
Was ich nicht vermochte, tu du’s: Drücke du
Nun ein Auge zu.
Und bedenke
Daß ich Dir fünf Stunden Wache schenke.
Laß mich auch in Zukunft nicht in Ruh.   Inhaltsverzeichnis

Das Schlüsselloch

Das Schlüsselloch, das im Haupttor saß,
Erlaubte sich nachts einen Spaß.
Es nahten Studenten
Mit Schlüsseln in Händen.
Da dachte das listige Schlüsselloch:
Ich will mich verstecken,
Um sie zu necken!
Worauf es sich wirklich seitwärts verkroch.
Alsbald nun tasteten die Studenten
Suchend,
Fluchend;
Mit Händen
An Wänden.
Und weil sie nichts fanden, zogen sie weiter.
Schlüsselloch lachte heiter.

(Die Herren erreichten ihr Zimmer nimmer.
Eigentlich war die Sache noch schlimmer.
Ich selbst war nämlich bei den Studenten –
Doch lassen wir es dabei bewenden.)  Inhaltsverzeichnis

Der Glückwunsch

Ein Glückwunsch ging ins neue Jahr,
Ins Heute aus dem Gestern.
Man hörte ihn sylvestern.
Er war sich aber selbst nicht klar,
Wie eigentlich sein Hergang war
Und ob ihn die Vergangenheit
Bewegte oder neue Zeit.
Doch brachte er sich dar, und zwar
Undeutlich und verlegen.

Weil man ihn nicht so ganz verstand,
So drückte man sich froh die Hand
Und nahm ihn gern entgegen.  Inhaltsverzeichnis

Der letzte Weg

„Ich gehe ins Wasser,“ sagte sie leis,
„Ade!“
Du hast es gut mit mir gemeint.
So weiß ich einen, der um mich weint.
Hab Dank!“
Ich aber sah ihr tiefes Weh
Und küsste sie, die arm und krank,
Und sagte: „Geh!“  Inhaltsverzeichnis

Der sächsische Dialekt

Wenn man den sächsischen Dialekt
Ein bisschen dehnt und ein bisschen streckt
Und spricht ihn noch ein bisschen tran’ger;
Dann hält ein jeder für einen Spanier!   Inhaltsverzeichnis

Die Frau mit der Reiherfeder

Ich weiß nicht genau,
Warum ich so oft an die bleiche Frau
Mit der weißen Reiherfeder denke,
Mich immer in den Gedanken versenke:
Wie könnte es werden, wie würde es sein,
Wäre sie dein. – –
Ich weiß es nicht und frage vergebens.
Sie ist auf dem bunten Wege des Lebens
Irgendwo still an mir vorüber gegangen,
Die schöne Frau mit den bleichen Wangen.
Sie hat mich mit kalten Blicken gemessen;
Wir haben kein einziges Wort getauscht,
Doch sie hat mich mit fremdem Zauber berauscht,
Dass ich sie nimmer werde vergessen.
Etwas wie sehnende, nagende Glut
Will mir das pochende Herz zerreißen;
Denk ich der bleichen Frau mit der weißen,
Wehenden Reiherfeder am Hut.   Inhaltsverzeichnis

Ein Pflasterstein, der war einmal

Ein Pflasterstein, der war einmal
Und wurde viel beschritten.
Er schrie: „Ich bin ein Mineral
Und muss mir ein für allemal
Dergleichen streng verbitten!“

Jedoch den Menschen fiel’s nicht ein,
Mit ihm sich zu befassen,
Denn Pflasterstein bleibt Pflasterstein
Und muss sich treten lassen.   Inhaltsverzeichnis

Ein Taschenkrebs und ein Känguruh

Ein Taschenkrebs und ein Känguruh,
Die wollten sich ehelichen.
Das Standesamt gab es nicht zu,
Weil beide einander nicht glichen.

Da riefen sie zornig: „Verflucht und verdammt
Sei dieser Bürokratismus!“
Und hingen sich auf vor dem Standesamt
An einem Türmechanismus  Inhaltsverzeichnis

Es war ein Brikett, ein großes Genie

Es war ein Brikett, ein großes Genie,
Das Philosophie studierte
Und später selbst an der Akademie
Im gleichen Fache dozierte.

Es sprach zur versammelten Briketterie:
„Verehrliches Auditorium,
Das Leben – das Leben – beachten Sie –
Ist nichts als ein Provisorium.“

Da wurde als ketzerisch gleich verbannt
Der Satz mit dem Provisorium.
Das arme Brikett, das wurde verbrannt
In einem Privatkrematorium.  Inhaltsverzeichnis

Es war ein Stahlknopf irgendwo

Es war ein Stahlknopf irgendwo,
Der ohne Grund sein Knopfloch floh.
(Vulgär gesprochen: Es stand offen.)
Ihm saß ein Fräulein vis-à-vis.
Das lachte plötzlich: Hi hi hi.
Da fühlte sich der Knopf getroffen
Und drehte stumm
Sich um.

Solch Peinlichkeiten sind halt nur
Die schlimmen Folgen der Natur.  Inhaltsverzeichnis